13 Nov. 2014

Wenn jede Entscheidung zählt

 


Heute ist in der Rhein-Neckar-Zeitung ein interesaanter Artikel über Jungschiedsrichter erschienen, den ich hiermit veröffentlichen möchte:

(ts) Quelle: RNZ Wieslocher Nachrichten  Don, 13. November 2014
Der Stürmer jagt dem Ball hinterher. Der gegnerische Torwart wirft sich nach dem Leder, fängt es ab. Der Spieler fällt, fordert Elfmeter – was seinen Gegnern gar nicht passt. Die junger Männer geraten aneinander. Geschrei, Drohgebärden. Die Zuschauer johlen und lachen. Einer der Jüngsten auf dem Platz muss jetzt die Ruhe bewahren: Schiedsrichter Florian Golenia, 17. Hat der Stürmer sich fallen lassen, oder hat der Keeper tatsächlich gefoult? Und wie soll er den Streit zwischen den Spielern schlichten?

Fast eine Stunde und 45 Minuten früher: Florian pfeift das Kreisligaspiel zwischen dem ASC Neuenheim und dem TSV Pfaffengrund an. Der Sinsheimer Schüler gilt als Talent: Trotz seines jungen Alters leitet er Kreisligaspiele – nicht im Nachwuchs- oder Seniorenbereich, sondern bei den Herren. Denn er hat was vor im Fußball: Der Aufstieg in eine höhere Spielklasse ist angepeilt, als Aktiver hat er auch mal im Nachwuchs des Bundesligisten TSG Hoffenheim gekickt.

Für Unterhaltung ist gesorgt auf dem Heidelberger Fußballcampus: Die Teams liefern sich ein heiß umkämpftes Match. Es gibt einen Imbiss und Getränke, man spielt auf gepflegtem Kunstrasen. Und doch besteht jede Menge Grund zur Aufregung: „Schiri, jetzt zeig’ doch mal eine Karte!“, „Schiri, wo ist deine Linie?“, „Warum lässt du das Spiel nicht einfach laufen?“, ist ständig aus dem 50 Köpfe zählenden Publikum zu hören. Fußball ist auch in Heidelbergs Nordwesten Leidenschaft – und Ventil.

Das Schiedsrichterdasein kann aber auch in höheren Klassen hart sein: Zu Helden werden die Spieler, von den Schiedsrichtern bleiben Fehler in Erinnerung. Das „Wembleytor“, die „Hand Gottes“ oder das „Hoffenheimer Phantomtor“: Geflügelte Worte, hinter denen sich tragikkomische Fehlentscheidungen verbergen. Es gibt aber auch echte Dramen im Schiedsrichterwesen: 2011 sagten die Verbände das Bundesligaspiel zwischen dem 1. FC Köln und dem FSV Mainz 05 ab. Schiedsrichter Babak Rafati hatte Stunden vor dem Match versucht, sich das Leben zu nehmen. Zuvor hatte er seinen Status als Fifa-Schiedsrichter eingebüßt und war von Ligaspielern mehrfach zum „schlechtesten“ Referee des Jahres gekürt worden.

Doch wie ist die Stimmung auf den Plätzen in der Region? Und was treibt Menschen überhaupt dazu, die Pfeife in Hand und Mund zu nehmen? Die Spurensuche führt ins Clubhaus des VfB Leimen. Es ist Montagabend, draußen laufen sich die Spieler im Schein von Flutlichtern warm. Drinnen drängen sich Dutzende Schiedsrichter: Die jüngsten sind noch keine 15, die Ältesten über 70 Jahre alt. Der Abend ist ein Pflichttermin: Hans-Dieter Krieg, Vorsitzender des Schiedsrichtergruppe Heidelberg, hat zu einer von sechs Zusammenkünften pro Jahr geladen. Ein Lehrwart klärt über das Thema Verwarnungen und „gelbe Karten“ auf.

Schiedsrichter müssen mit Entschiedenheit auftreten, dürfen unter keinen Umständen Gleichgültigkeit ausstrahlen. Headsets, Markier-Schaum oder gar ausführliche Diskussionen zwischen Spielern und Schiedsrichtern, wie man sie aus der Bundesliga kennt? Sieht der Deutsche Fußball-Bund im Amateurbereich eindeutig nicht vor.

Im Kreisbereich ist derzeit eher der Herbstnebel ein Thema – und die Frage, welche Sichtverhältnisse zumutbar sind. An einem Stehtisch folgen Jugendliche aus Wiesloch der Diskussion. Auch sie pfeifen: „Ich hatte über meinen Verein ständig mit Fußball zu tun. Irgendwann kam das Angebot, Spiele zu leiten – und was dazuzuverdienen“, meint einer. Daneben lockt der Verband auch mit Freikarten für Bundesligaspiele.

Überhaupt, die Nähe zum großen und kleinen Fußball: Die ist für viele das A und O. Auch für den früheren Oberligaschiri Hans-Dieter Krieg, 45. „Man trifft eine Menge interessanter Menschen. Und das Tolle ist: Man kommt immer wieder auf Fußball zurück.“ Er hat beobachtet, dass vor allem diejenigen dabei bleiben, die über persönliche Kontakte an die Schiedsrichterei geraten sind: Auch Florian Golenia kam über den Freund seiner Schwester dazu.

Seit knapp fünf Jahren betreuen Paten rund 20 Jungschiedsrichter aus Heidelberg und der Umgebung: Ältere Referees begleiten die Jungen, beruhigen hier und da das Publikum. Es gibt Sondertreffen für den Nachwuchs. Dann werden Schwierigkeiten mit der Regelauslegung oder bei der Kommunikation mit Spielern und Publikum aufgearbeitet.

Wer in eine höhere Spielklasse will, muss sich Regeltests und sportlichen Leistungsdiagnosen unterziehen: Fußball und Schiedsrichterei, in beiden Bereichen hat das Tempo enorm zugenommen. Dennoch: „Die meisten Spiele laufen normal ab, ein Großteil der Klubs heißt einen willkommen, auch wenn man einen Scheiß gepfiffen hat“, so Hans-Dieter Krieg. Einige heikle Situationen hat er gleichwohl erlebt. In Tauberbischofsheim war die Stimmung mal so aufgeheizt, dass er nicht mehr wegkam: Ein Polizeikommando eskortierte ihn am Ende auf die Autobahn.

Ist das Verhalten deutscher Zuschauer in den letzten Jahren aggressiver geworden? Die Meinungen gehen auseinander: Verbale und tätliche Angriffe habe es früher auch gegeben, meinen einige. „Durch das Internet erhält das jetzt einen höheren Bekanntheitsgrad.“ Beobachtet wird aber auch, das Eltern dazu tendieren, den Nachwuchs auf dem Fußballplatz abzugeben. Trainer und Schiedsrichter müssten dann Erziehungsaufgaben übernehmen, heißt es.

Auf dem Neuenheimer Kreisligaplatz liegt Florian am Ende goldrichtig: kein Elfer. Die zwei lautesten Kontrahenten bekommen je eine gelbe Karte. „Das Publikum ist hier harmlos. Da gibt es in der Pfalz und im Odenwald Schlimmeres“, meint Obmann Sauer. Mit der Leistung seines Schützlings ist er zufrieden. In der ersten Halbzeit hat er aber zwei „Problemspieler“ identifiziert. „Einer hat den Schiri angefahren, das hätte gelb geben müssen.“

Am Ende zieht das Mehrgenerationen-Gespann mit den Linienrichtern Jusitin Bechtel (14) und Walter Ullrich (70) in die Kabine. Endstand: 2:1 für Pfaffengrund. „Es war chaotisch“, gesteht Florian. Wegen des Gemeckers oder der Elferentscheidung? Er winkt ab, halb so schlimm. Gemeint ist, dass der Ball mehrmals gewechselt werden musste. Trotzdem: Respekt! Vor dem, was Schiris leisten!